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Donnerstag, den 13. September 2012 um 05:57 Uhr

Fehler im genetischen Programm lässt Blumen voller blühen

Streng genommen dürfte es die außergewöhnlichen Blüten des „Kleinen Immergrün“ (lateinisch „Vinca minor“) in der freien Natur gar nicht geben: Haben die Blüten des weit verbreiteten Halbstrauchs normalerweise genau fünf dunkelblau-violette Kronblätter, so blühen die Exemplare, die Prof. Dr. Günter Theißen von der Friedrich-Schiller-Universität Jena regelmäßig auf seinen Spaziergängen im Rautal in Jena findet, mit viel mehr Blütenblättern. „Stattdessen fehlen ihnen die zur Vermehrung notwendigen Staubblätter, was in der Evolution eigentlich einem Todesurteil gleichkommt“, so der Inhaber des Lehrstuhls für Genetik. Trotzdem sind die gefüllten Blüten des Kleinen Immergrün seit mehr als 160 Jahren im Rautal gut dokumentiert.

Und nicht nur dort. „Jeder Gartenmarkt und Blumenladen ist voll von sogenannten gefüllten Blüten“, sagt Günter Theißen. Doch anders als beim gefüllten Immergrün handelt es sich hierbei nicht nur um eine Laune der Natur. Gefüllte Rosen, Narzissen oder Tulpen werden wegen ihrer auffälligen und besonders attraktiven Blüten geschätzt und eigens gezüchtet. Doch wie entsteht diese Blütenpracht? Dieser Frage sind der Jenaer Genetiker und sein Kollege Dr. Rainer Melzer jetzt gemeinsam mit Wissenschaftlern der University of Washington in Seattle nachgegangen. In der Fachzeitschrift „Proceedings of the National Academy of Sciences“ haben sie die Ergebnisse einer Studie veröffentlicht, in der die genetischen Grundlagen dieser außergewöhnlichen Blütenformen entschlüsselt worden sind (DOI:10.1073/pnas.1203686109).

„Wir haben uns angeschaut, welche Gene für die Ausbildung der einzelnen Blütenorgane verantwortlich sind und wie sich deren Aktivität ändert, wenn sich die Blütenform ändert“, erläutert Dr. Melzer. Für Modellpflanzen wie die Ackerschmalwand oder das Löwenmäulchen sind diese Mechanismen zwar gut bekannt. Bislang war aber unklar, inwieweit diese Ergebnisse sich auf andere Blütenpflanzen anwenden lassen. Die Genetiker haben deshalb das Erbgut der „Wiesenraute“ (Thalictrum thalictroides), einer entfernten Verwandten der Modellpflanzen, genauer unter die Lupe genommen. „Was gefüllte Blüten von den Wildtyp-Blüten unterscheidet ist, dass ihre Staubblätter und Fruchtblätter in zusätzliche Kronblätter bzw. Kelchblätter umgewandelt sind“, so Dr. Melzer.

Wie die Genetiker in ihrer Studie nun zeigen konnten, passiert das immer dann, wenn das Gen, dessen Aktivität die Ausbildung der Organanlagen zu Staub- und Fruchtblättern reguliert, defekt ist. „Dann übernimmt ein anderes Gen die Kontrolle, das normalerweise die Ausbildung von Kelch- und Kronblättern steuert“, ergänzt Prof. Theißen. Das defekte Gen ist das gleiche, das auch in Löwenmäulchen und Ackerschmalwand für gefüllte Blüten sorgt. „Das zeigt, wie hoch konserviert die genetischen Mechanismen der Blütenentwicklung sind“, so Prof. Theißen. Die Forscher fanden außerdem heraus, dass bei der Wiesenraute ein sogenanntes mobiles Element – ein zusätzliches Stück DNA – Ursache des Gendefekts ist. Das mobile Element baute sich in das intakte Gen ein, wodurch dieses nicht mehr korrekt abgelesen werden konnte.

Den Beweis für die Richtigkeit ihrer Hypothese lieferten die Wissenschaftler auf eindrückliche Weise: Sie schalteten bei einem Wildtyp der Wiesenraute gezielt das zur Staub- und Fruchtblattentwicklung notwendige Gen aus. Während die Pflanzen normalerweise 5 bis 12 kronblattartige Kelch- und 40 bis 80 Staubblätter haben, entwickelten sich in den genetisch veränderten Pflanzen stattdessen prächtig gefüllte Blüten mit über 70 Kelchblättern – und ganz ohne Staubblätter. Wohl nirgends sonst sind Gendefekte so schön anzusehen.


Den Artikel finden Sie unter:

http://www.uni-jena.de/Mitteilungen/PM120911_Bl%C3%BCten_Thei%C3%9Fen.html

Quelle: Friedrich-Schiller-Universität Jena  (09/2012)


Original-Publikation:
Galimba KD et al. Loss of deeply conserved C-class floral homeotic gene function and C- and E-class protein interaction in a double-flowered ranunculid mutant. PNAS 2012, Vol. 109 (34), E2267-75, DOI:10.1073/pnas.1203686109


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