Volltextsuche

Donnerstag, den 15. Dezember 2016 um 05:43 Uhr

Wie schmilzt Eis? Wasserschicht für Wasserschicht!

Spätestens in der Schule lernen wir, dass Wasser bei 0°C zu Eis gefriert bzw. Eis zu Wasser schmilzt. Schon vor über 150 Jahren fand aber der bekannte Physiker Michael Faraday heraus, dass auch unterhalb des Gefrierpunktes auf Eis noch eine dünne Wasserschicht existiert. Diese Schicht ist unter anderem essentiell für das Gleitverhalten beim Skifahren und die Bewegung der Gletscher.

Die Existenz dieser wasserähnlichen Schicht wird seit Langem von Wissenschaftlern untersucht und kontrovers diskutiert: Bei welcher Temperatur wird die äußere Schicht flüssig? Wie hängt die Dicke der Flüssigkeitsschicht von der Temperatur ab? Und wie ändert sich die Dicke? Kontinuierlich? In Stufen? Bisherige Versuche zeigten meist ein kontinuierliches Anwachsen der Schichtdicke. Nahe des Schmelzpunkts wurden Flüssigkeitsschichten mit bis zu 45 nm (1 nm = 10-9 m) Dicke beobachtet. Das entspricht einem Tausendstel Durchmesser eines Menschenhaares und ist mit bloßem Auge nicht wahrnehmbar.

Wissenschaftlern vom Max-Planck-Institut für Polymerforschung (MPI-P), in Zusammenarbeit mit Forschern aus den USA, den Niederlanden und Japan, ist es nun gelungen, die Eigenschaften dieser quasi-flüssigen Schicht auf molekularer Ebene mittels fortgeschrittener oberflächen-spezifischer Spektroskopie zu untersuchen und per Computersimulation zu erläutern. Ihre Ergebnisse werden in der neuen Ausgabe der wissenschaftlichen Zeitschrift Proceedings of the National Academy of Science (PNAS) veröffentlicht.

Das Team von Wissenschaftlern um Ellen Backus, Forschungsgruppenleiterin am MPI-P, ging der Frage nach, wie sich die dünne Schmelzschicht auf Eis bildet, wie sie anwächst und ob sie sich von normalem Wasser unterscheidet.
Um den gesamten Prozess zu verstehen, steckten die Mainzer Forscher viel Energie und Ehrgeiz in das Herstellen identischer, rund 10 cm großer, perfekter, defektfreier Eiskristalle. Die orientierten Kristalle wurden so geschnitten, dass die Forscher genau wussten, wie die Wassermoleküle an der Oberfläche angeordnet sind.

Wassermoleküle in der Flüssigkeit haben eine schwächere Wechselwirkung mit einander als im Eiskristall. Mittels eines speziellen Spektroskopieverfahrens und dem gezieltem Auftauen des Eiswürfels konnte die Veränderung der Wechselwirkung direkt an der Grenzfläche zwischen Eis und Luft untersucht werden.

Die Ergebnisse zeigten, dass die erste molekulare Eisschicht schon bei -38°C (235 K ) geschmolzen ist, der Starttemperatur der Untersuchungen. Wird die Temperatur auf -16°C (257 K) erhöht, geht auch die zweite molekulare Schicht in eine Flüssigkeit über. Das Aufschmelzen erfolgt demzufolge nicht kontinuierlich, sondern in einzelnen Lagen. Wissenschaftler aus Mainz, den USA und Japan bestätigen diese Experimente durch Computerberechnungen.

„Eine weitere wichtige Frage war für uns, ob sich die entstandene Flüssigkeit bei diesen tiefen Temperaturen von normalem Wasser unterscheidet“ sagt Mischa Bonn, Co-Autor der Veröffentlichung und Direktor am MPI-P. Und in der Tat entspricht die flüssigkeitsähnliche Schicht bei -4°C (269 K ) nicht der von unterkühltem Wasser, sondern eher der von Eis. Das zeigt sich darin, dass sie stärkere Wasserstoffbindungen aufweist als normales Wasser.

Diese Resultate sind nicht nur bedeutend für das Verständnis vom Schmelzverhalten von Eis, sondern hilft auch Klimaforschern bei der Erklärung katalytischer Reaktionen auf Eiskristallen und Wassertröpfchen in der Atmosphäre.


Den Artikel finden Sie unter:

http://www.mpip-mainz.mpg.de/4797752/pm2016-10

Quelle: Max-Planck-Institut für Polymerforschung (12/2016)


Publikation:
M. Alejandra Sánchez, Tanja Kling, Tatsuya Ishiyama, Marc-Jan van Zadel, Patrick J. Bisson, Markus Mezger, Mara N. Jochum, Jenée D. Cyran, Wilbert J. Smit, Huib J. Bakker, Mary Jane Shultz, Akihiro Morita, Davide Donadio, Yuki Nagata, Mischa Bonn & Ellen H. G. Backus
Experimental and theoretical evidence for bilayer-by-bilayer surface melting of crystalline ice
Proceedings of the National Academy of Sciences (2016)
https://dx.doi.org/10.1073/pnas.1612893114

Um unsere Webseite für Sie optimal zu gestalten und fortlaufend verbessern zu können, verwenden wir Cookies. Durch die weitere Nutzung der Webseite stimmen Sie der Verwendung von Cookies zu.
Weitere Informationen zu Cookies erhalten Sie in unserer Datenschutzerklärung.