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Dienstag, den 06. April 2010 um 02:36 Uhr

Jenseits des Quantenlimits

Im Mikrokosmos, dem Reich der Quantenphysik, regiert der Zufall. Denn das Verhalten der Quantenteilchen lässt sich nicht wie in der klassischen Physik mit Bestimmtheit, sondern nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit vorhersagen. Das sich daraus ergebende "Quantenrauschen" beeinträchtigt die Messgenauigkeit der besten Atomuhren und Interferometer. Gelingt es jedoch, die Quantenteilchen miteinander zu verschränken, so lässt sich König Zufall ein Schnippchen schlagen. Einen Durchbruch auf diesem Gebiet erzielte jetzt ein Team um Professor Theodor W. Hänsch und Prof. Philipp Treutlein (Ludwig-Maximilians-Universität München und Max-Planck-Institut für Quantenoptik in Garching, Philipp Treutlein hat seit Februar 2010 eine Professur an der Universität Basel). Den Wissenschaftlern gelang es erstmals, verschränkte Zustände von Atomen auf einem Mikrochip zu erzeugen (Nature, Advance Online Publication, DOI: 10.1038/nature08988). Damit lässt sich die Präzision von kompakten, chip-basierten Atomuhren oder Interferometern erheblich steigern. Weitere mögliche Anwendungen der neuen Technik könnten Mikrochip-basierte Quantencomputer sein. Die Experimente in München wurden in Kooperation mit theoretischen Physikerinnen um Dr. Alice Sinatra von der Ecole Normale Supérieure (ENS) in Paris durchgeführt.

Eines der faszinierendsten Phänomene in der Quantenmechanik ist die sogenannte Verschränkung. Befinden sich zwei Teilchen in einem verschränkten Zustand, dann sind sie nicht mehr als zwei Individuen, sondern als eine Gesamtheit zu betrachten. Was immer das eine tut oder treibt (oder was mit ihm getrieben wird), es beeinflusst im selben Moment das Verhalten des anderen, und zwar unabhängig davon, wie weit die Teilchen voneinander entfernt sind. Als "geisterhaft" bezeichnete Albert Einstein schon vor 80 Jahren diese intuitiv nicht verständliche Fernwirkung, die zwingend aus der Theorie der Quantenmechanik folgt. Doch erst in der letzten Dekade des 20. Jahrhunderts gelang es, Verschränkung zwischen Atomen experimentell zu erzeugen und nachzuweisen. Damit eröffnet sich den Physikern die Möglichkeit, dieses Phänomen nicht nur besser zu verstehen, sondern auch für technische Anwendungen, wie etwa Kommunikation, Metrologie und Informationsverarbeitung nutzbar zu machen.

Im vorliegenden Experiment gelang es der Münchner Gruppe erstmals Verschränkung auf einem sogenannten Atom-Chip zu erzeugen. Dabei handelt es sich um einen mikrostrukturierten Chip, mit dem sich einzelne Atome oder auch Atomwölkchen einfangen und manipulieren lassen. Atom-Chips haben sich bereits als nützliche Werkzeuge bewährt, um fundamentalen Fragen der Quantenphysik nachzugehen. Jedoch bleiben ihre Anwendungsmöglichkeiten nicht nur auf die Grundlagenforschung beschränkt. So haben die Münchner Physiker bereits kompakte Atomuhren damit verwirklicht, die für den portablen Einsatz geeignet sind. Bislang fehlte jedoch die Möglichkeit, auf diesen Chips Verschränkung zu erzeugen. Und solange Atomuhren nur mit von einander unabhängigen, also nicht-verschränkten Atomen betrieben werden, ist ihre Genauigkeit durch das Quantenrauschen fundamental begrenzt.

Die theoretischen Physikerinnen Alice Sinatra und Li Yun haben vor zwei Jahren zusammen mit der Münchener Gruppe um Philipp Treutlein ein Konzept zur Verringerung des Quantenrauschens entwickelt, das jetzt experimentell umgesetzt wurde. Dazu wird zunächst eine Wolke von Rubidiumatomen auf dem Chip eingefangen und auf weniger als ein Millionstel Grad über dem absoluten Nullpunkt abgekühlt. Bei diesen Temperaturen bildet sich ein neuer Materiezustand aus, ein sogenanntes Bose-Einstein-Kondensat, in dem sich alle Atome im gleichen quantenmechanischen Zustand befinden. Die Rubidiumatome können durch einen sogenannten Spin beschrieben werden, der zwei Einstellungsmöglichkeiten - aufwärts oder abwärts - hat. Im Grundzustand ist der Spin von allen Atomen im BEC nach unten gerichtet. Ein kurzer Mikrowellenpuls "dreht" den Spin, so dass sich alle Atome in einer Überlagerung - einer Superposition - aus beiden Spinzuständen befinden. Nun werden die Atome einem zustandsabhängigen Potential ausgesetzt, das experimentell durch einen zweiten Mikrowellenpuls realisiert wird. "Anschaulich gesprochen bewirkt dieses Potential, dass nur Atome, die im gleichen Spinzustand sind, miteinander in Wechselwirkung treten, d.h. kollidieren können. Die zeitliche Entwicklung der Zustände eines Atoms hängt damit vom Zustand der anderen Atome ab. Das bedeutet, dass die Atome miteinander über ihren Spin verschränkt werden", erklärt Max F. Riedel, Doktorand am Münchner Atom-Chip Experiment.

In einem BEC aus nicht miteinander verschränkten Atomen trifft man bei einer Messung im Mittel die Hälfte der Atome im Grundzustand (abwärts gerichteter Spin), die andere Hälfte im angeregten Zustand (aufwärts gerichteter Spin) an. "Abweichungen von diesem Mittelwert, d.h. das Schwanken von Messung zu Messung, führen zu einem "Quantenrauschen", das sich gemäß der Heisenbergschen Unschärferelation gleichmäßig auf die beiden Spinkomponenten senkrecht zur Hauptrichtung verteilt", erläutert Pascal Böhi, ebenfalls Doktorand.
Die Wissenschaftler untersuchten nun, wie das Quantenrauschen durch das zustandsabhängige Potential, d.h. den zweiten Mikrowellenpuls, beeinflusst wird. Mit Hilfe eines dritten Mikrowellenpulses bestimmten sie die Unschärfe aller drei Spinkomponenten. Dabei konnten sie nachweisen, dass das Rauschen für eine der Komponenten auf einen Wert "gequetscht" werden kann, der kleiner als das durch die Heisenbergsche Unschärferelation gesetzte Quantenlimit ist. Aus der Stärke der "Quetschung" können sie schließen, dass sich in dem BEC Cluster von jeweils mindestens vier miteinander verschränkten Atomen gebildet haben.

Die Genauigkeit von Atomuhren ließe sich durch die Benutzung solcher gequetschter Zustände deutlich erhöhen. Weitere Anwendungsgebiete der neuen Technik sind hochempfindliche Atominterferometer zum Aufspüren extrem schwacher Kraftfelder sowie die Realisierung eines Quantengatters, dem Baustein von zukünftigen Quantencomputern. Die Wissenschaftler erhoffen sich von ihren Experimenten ferner grundlegende Einblicke in die Mechanismen, die zu Quantenkorrelationen in Vielteilchensystemen führen.


Den Artikel finden Sie unter:

http://www.mpq.mpg.de/cms/mpq/news/press/10_04_01.html

Quelle: Max-Planck-Institut für Quantenoptik (04/2010)

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