Paratyphus ist eine Infektionskrankheit mit hohem Fieber, Bauchschmerzen
und Übelkeit, zuweilen auch Durchfall, die unbehandelt tödlich
verlaufen kann. Sie ähnelt dem besser bekannten Typhus, wird jedoch
durch einen anderen bakteriellen Erreger ausgelöst. Während Paratyphus
in Deutschland und Europa heute sehr selten geworden sind, kommt es in
Asien weiterhin gelegentlich zu Paratyphus-Epidemien, vor allem nach
Naturkatastrophen wie Überschwemmungen. Im Mittelalter hingegen
verursachte der Paratyphus in Europa Epidemien mit hohen Opferzahlen.
Forschende des Exzellenzclusters „Precision Medicine in Chronic
Inflammation“ (PMI) haben nun erstmals die menschliche Immungenetik zu
Typhuserkrankungen in Europa genauer untersucht und ein Risikogen
identifiziert, das für Paratyphus anfälliger macht. Dieses Risikogen ist
auch heute noch in der europäischen Bevölkerung vorhanden und steigert
zugleich das Risiko für moderne Entzündungserkrankungen wie Multiple
Sklerose oder Typ-I-Diabetes. Seine Ergebnisse hat das Team um Professor
Ben Krause-Kyora, Archäologe und Biochemiker am Institut für Klinische
Molekularbiologie (IKMB) der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
(CAU) und des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein (UKSH), Campus
Kiel, vor kurzem in der Fachzeitschrift „Frontiers in Immunology“
veröffentlicht.
Anfang der 1990er Jahren fand man bei Umbaumaßnahmen am
Heiligen-Geist-Hospital in Lübeck die Überreste zahlreicher Menschen,
die im Mittelalter im Zuge mehrerer Massenbestattungen dort begraben
wurden. Verteilt auf verschiedene Gruben unterschiedlicher Größe wurden
insgesamt mehr als 800 Skelette aller Geschlechter und Altersstufen
geborgen, die auf die zweite Hälfte des 14. Jahrhunderts datiert werden
konnten. In einer vorangegangenen Arbeit hat das Team um Krause-Kyora
aus 92 Skeletten sogenannte aDNA, also alte DNA, isoliert und
analysiert. So konnten sie in den Überresten den für Paratyphus
ursächlichen Erreger Salmonella enterica subsp. enterica Paratyphi C
identifizieren und damit zeigen, dass die Menschen in dem Massengrab im
Zuge einer Paratyphus-Epidemie gestorben waren (https://www.uni-kiel.de/de/detailansicht/news/103-pest-typhus-hl).
„Nun haben wir die Gene dieser Verstorbenen, die für das Immunsystem und
damit die Bekämpfung solcher Erreger wichtig sind, ebenfalls anhand der
noch vorhandenen DNA analysiert“, berichtet Krause-Kyora, der Mitglied
im Exzellenzcluster PMI ist. So konnten die Forschenden ein Risikogen
identifizieren, das im Vergleich zur Gesamtbevölkerung der damaligen
Zeit bei den Verstorbenen aus dem Massengrab besonders häufig vorkam.
„Diese Genvariante hat offenbar dazu geführt, dass das Immunsystem der
Menschen, die diese Varianten aufwiesen, den Paratyphus-Erreger nicht so
gut abwehren konnten und daher eher daran erkrankten“, erklärt
Magdalena Haller, Erstautorin der Arbeit und Doktorandin in der
Arbeitsgruppe „aDNA Analyse“ am IKMB. Die Genvariante wurde bereits für
Menschen in Asien in Zusammenhang mit Paratyphus beschrieben, für Europa
gab es bisher jedoch keinerlei Studien.
Die Genvariante HLA-DRB1*03:01 liegt in dem Genbereich, der für eine
spezifische Immunantwort gegen Bakterien und Viren wichtig ist. Mithilfe
von Modellierungen am Computer konnte das Team weitere Indizien dafür
finden, dass Menschen mit dieser Variante den Paratyphus-Erreger weniger
wirksam abwehren können. „Wir haben errechnet, wie gut die Strukturen,
die von dem Gen kodiert werden, an den Paratyphus-Erreger binden“,
erklärt Koautor Professor Tobias Lenz von der Universität Hamburg und
vom Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie in Plön, ebenfalls
Mitglied im Exzellenzcluster PMI. „So konnten wir zeigen, dass die von
dieser Genvariante kodierten Strukturen vermutlich schlechter an den
Krankheitserreger von Paratyphus bindet und ihn daher schlechter
bekämpfen kann, als bei anderen Varianten dieses Gens. Das würde
erklären, warum besonders viele Menschen mit dieser Variante an
Paratyphus gestorben sind“, so Lenz weiter.
Die Genvariante, die für Paratyphus anfälliger macht, kommt auch heute
noch bei Menschen in Europa vor. Studien haben gezeigt, dass sie auch
bei modernen Entzündungskrankheiten eine Rolle spielen könnten. So
begünstigt sie zum Beispiel ungewünschte Immunreaktionen auf
Bestandteile aus der Nahrung, also Nahrungsmittelallergien, aber auch
entzündliche Erkrankungen wie Multiple Sklerose (MS) und Typ-I-Diabetes.
Gleichzeitig wird diese Variante aber auch mit einem gewissen Schutz
vor Lungenerkrankungen wie Tuberkulose in Verbindung gebracht.
Genau wegen solcher Zusammenhänge erforschen Krause-Kyora und sein Team
alte Krankheitserreger und alte menschliche DNA. „Die Erkenntnisse über
die Entwicklung solcher Erkrankungen und des menschlichen Immunsystems
können zu einem besseren Verständnis über die Entstehung moderner
Erkrankungen des Immunsystems, wie chronischer Entzündungserkrankungen,
beitragen“, erklärt Krause-Kyora.
Den Artikel finden Sie unter:
https://www.precisionmedicine.de/de/detailansicht/news/risikogen-beguenstigte-paratyphus-im-mittelalterlichen-europa
Quelle: Exzellenzcluster Präzisionsmedizin für chronische Entzündungserkrankungen (09/2021)
Publikation:
M. Haller*, J. H. Bonczarowska*, Dirk Rieger, Tobias L. Lenz, Almut Nebel und Ben Krause-Kyora: Ancient DNA Study in Medieval Europeans Shows an Association Between HLA-DRB1*03 and Paratyphoid Fever. Frontiers in Immunology (2021). https://www.frontiersin.org/articles/10.3389/fimmu.2021.691475/full
Montag, den 13. September 2021 um 04:54 Uhr